Schlüsselloses Leben

Bei einer der ersten Wohnungsbesichtigungen konnte ich ein komplett neues Apartment sehen. Neu ausgestattet, mit neuem Boden, neuer Heizung, neuem Bad, neuer Tür. In der Tür war ein Fingerabdrucksscanner integriert, der den Zugang zur Wohnung regelte. Ich glaube ich muss niemandem sagen, wie mich, als technikaffinen Menschen, dieses begeisterte. Der Fortschritt ist hier, dachte ich. Und: Muss ich haben! Die Wohnung hatte für mich schon allein mit der Zugangsberechtigung einen besonderen Stellenwert, der bei einer Wohnung ohne Schlüssel erstmal kompensiert werden wollte.

Fast 1 Jahr später sitze ich nun hier, in der im Januar bezogenen Wohnung, und denke über Schüssel nach. Ich habe keinen mehr. Jedenfalls keinen für das tägliche Leben. Ich habe noch alte Schlüssel, Schlüssel für das Haus meiner Eltern, jedoch keinen Schlüssel, den ich täglich verwenden würde.

Zu Beginn war dieses eine ungewohnte Situation. Aus der Wohnung gehen und keinen Schlüssel dabei haben, sich um nichts kümmern müssen. Jedes Mal war es ein wenig ungewohnt. Habe ich denn wirklich nichts vergessen? Angezogen, check. Arbeitstasche, check. Handy, check. Es fehlte immer etwas. Man musste sich selbst sagen, dass man nichts vergessen hat. Heute, fast ein Jahr später ist dieses zur Normalität geworden. Doch erst heute wurde mir klar, dass ich keinen Schlüssel mehr habe. Für mein Auto habe ich keinen Schlüssel. Den hat mein Fahrer. Er verwaltet diesen und gibt ihn an andere Fahrer, wenn er einmal Urlaub hat. Nicht, dass mir etwas fehlen würde. Es ist lediglich die Feststellung. Ich bin also schlüssellos.

Hier in China sind Schlüssel noch etwas wichtiges. Der Schlüsselbund wird nicht in der Hosentasche, oder in den gängigen Männerhandtaschen getragen. Nein, der Schlüsselbund hängt an einem Karabiner und dieser Karabiner ist immer gut sichtbar an einer der Hosenschlaufen für den Gürtel befestigt. Wäre schade, wenn ein anderer nicht sehen könnte, welches Auto man fährt bzw. dass man ein Auto fährt. Es ist gerade die Umkehrung der Schlüssellosigkeit. Wenn erstmal ein jeder ein Auto hier im Reich der Mitte besitzt und die Kultur wieder in Richtung Kultur und nicht der Darstellung des eigenen Reichtums geht, dann wird auch hier der Schlüsselbund schnell verschwinden. Sehr schnell, da die Adaption von Verhaltensmustern hier wesentlich schneller in die Gesellschaft aufgenommen wird, als wir uns dieses vorstellen können.

Was bedeutet das? Eigentlich nicht viel. Es bedeutet vor allem, dass ich keinen Schlüsselbund mehr habe. Keinen Schlüsselring, an den man ein Erinnerungsstück, ein Photo, einen Schlüsselfinder anbringen würde. Für mich bedeutet es auf jeden Fall, dass ich den Schlüssel nicht verlegen kann, was ich sonst gerne tue.

Eines ist jedoch gewiss: Diese Schlüssellosigkeit wird weitergehen. Auto haben heute Access-Key, eine kleine Karte, die ausreicht das Auto zu öffnen, wenn man nur daneben steht. Gestartet, wird das Auto über einen Knopf. Als die ersten Modelle mit diesem Feature herauskamen, war das super cool. Der Fingerabdruckscanner wird in Deutschland auch kommen. Wenn alle Versicherungen zugestimmt haben und sich ein Standard etabliert hat sicherlich, die Vorteile überwiegen. Denn den Finger, da angewachsen, kann man nicht so schnell verlegen. In Konsequenz wird der Schlüssel und vor allem der Schlüsselbund nicht mehr existieren, nur noch in alten Filmen und Filmen, die von der guten alten Zeit handeln. Wenn ich mich an meine Schulzeit erinnere, da habe ich einen Hausmeister mit einem großen Ring mit Schlüsseln vor mir. Ich weiß nicht mehr, wie er hieß, wie das Geräusch des Schlüsselbundes war, weiß ich noch gut. Das wird es in Zukunft nicht mehr geben. Leider.

So ändern sich die Ansichten. Von “muss ich haben” hin zu :”muss ich das haben?”. Eigentlich sind Schlüssel doch etwas faszinierendes und das wurde mir damit bewusst.

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